Kommentar zur Tötung eines Welses im Brombachsee
Von Aileen Romanowski
Vergangene Woche sorgte ein Vorfall im bayerischen Brombachsee für bundesweite Schlagzeilen: Ein über zwei Meter langer und fast 90 Kilogramm schwerer Wels soll im Bereich einer Schwimminsel fünf Menschen gebissen haben, darunter auch Kinder. Die Polizei sperrte den Bereich, beurteilte das Tier als Sicherheitsrisiko und erschoss den Wels mit der Dienstwaffe. Zwei Angler bargen später den Kadaver. (Quelle: Welt.de, 24. Juni 2025)
Die Szene klingt grotesk. Und sie ist es. Nicht nur, weil ein Wildtier mit einer Polizeikugel getötet wurde. Sondern weil dieser Vorfall einmal mehr die fundamentale Schieflage in unserer Beziehung zur Tierwelt offenlegt.
Der Mensch als Eindringling und Richter
Es ist Laichzeit. Welse sind besonders große Exemplare und verteidigen in dieser Phase ihr Revier aggressiver als sonst. Was also geschah, war kein „Ausnahmeverhalten“, sondern das Ergebnis biologischer Notwendigkeit in einem Gebiet, das wir Menschen uns als Freizeitkulisse angeeignet haben.
Jean-Jacques Rousseau hätte womöglich gesagt: „Der Mensch verlässt den Naturzustand, betritt den Lebensraum des Tieres und erwartet, dass sich dort alles nach seiner Norm richtet.“
Tatsächlich begegnen wir hier einer Doppelmoral: Tierschutz ja solange er nicht mein Festival oder meinen Badeurlaub stört.
Wie oft sehen wir Schilder mit „Lebensraum beachten“ oder „Natur schützen“ und wie schnell sind diese Prinzipien vergessen, wenn ein Lebewesen plötzlich unbequem wird?
Eine Kugel für ein Tier …. warum?
War es wirklich nötig, das Tier zu erschießen? Fachleute sprechen von möglichen Alternativen wie Strombefischung, temporärer Absperrung oder einfach Geduld, immerhin handelt es sich um ein Gewässer, kein eingesperrtes Becken. PETA hat bereits Strafanzeige gestellt, der Deutsche Tierschutzbund spricht von einem „unverhältnismäßigen Einsatz tödlicher Gewalt“. (Quelle: Augsburger Allgemeine, 24.6.25)
Der Philosoph Günther Anders prägte den Begriff der prometheischen Scham: das Unbehagen des Menschen darüber, dass etwas Natürliches nicht von ihm kontrolliert oder erschaffen wurde.
Der Wels, unkontrollierbar, aggressiv, wild und wird in diesem Sinne zum Feind. Und der Mensch zum Scharfrichter.
Risiko Natur oder: Was ist eine Mensch-Tier-Beziehung heute wert?
Was bedeutet eigentlich Mensch-Tier-Beziehung im Anthropozän? Sie bedeutet nicht, dass Tiere sich unseren Gewohnheiten anpassen. Sondern dass wir lernen, mit Risiko, Wildheit und Fremdheit umzugehen.
An vielen Stränden der Welt wird bei Hai-Sichtungen der Bereich gesperrt und eben nicht geschossen. Auch bei Wildschweinen oder Bären in Siedlungsnähe sind Vergrämung, Vermeidung, Verlagerung oft Mittel erster Wahl.
Doch im Fall des Welses gab es keine Geduld, keine Kommunikation mit Expert*innen vor Ort sondern eine Entscheidung, die mehr über unser Unverständnis gegenüber tierischem Eigenrecht aussagt als über das Tier selbst.
Die Kugel war nicht nur eine Kugel
Die Entscheidung, den Wels zu töten, war ein symbolischer Akt. Sie sagt: Dein Verhalten stört, also wirst du entfernt.
Sie entlarvt, wie tief unser Verständnis von Tierschutz oft von Nützlichkeit und Bequemlichkeit abhängt.
Philosophen wie Albert Schweitzer betonten die Ehrfurcht vor allem Leben auch vor einem Fisch in Laichstimmung.
Doch in unserer Welt scheint oft nur das Leben zählbar, das sich nicht gegen unsere Erwartungen wehrt.
Vielleicht wäre es an der Zeit, Tiere nicht nur als Teil der Natur zu schützen, sondern auch ihre Eigenwilligkeit als das zu respektieren, was sie ist: Natürlich
Quellen:
Augsburger Allgemeine (2025): Polizei erschießt wütenden Wels am Brombachsee – Strafanzeige angekündigt, 24.06.2025. Online unter: https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/polizei-erschiesst-wuetenden-wels-am-brombachsee-strafanzeige-angekuendigt-109877053 [Zugriff: 26.06.2025].
FAZ (2025): Sind Fische gefährlich für Badende? Polizei erschießt Wels im Brombachsee, 24.06.2025. Online unter: https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/polizei-erschiesst-wels-sind-fische-gefaehrlich-fuer-badende-110552962.html [Zugriff: 26.06.2025].
ORF.at (2025): Riesenwels beißt fünf Badende – Polizei erschießt Tier, 24.06.2025. Online unter: https://orf.at/stories/3397457 [Zugriff: 26.06.2025].
Tagesschau.de (2025): Nach Schüssen auf Wels – Experte verteidigt Polizei, 24.06.2025. Online unter: https://www.tagesschau.de/inland/regional/bayern/br-nach-schuessen-auf-wels-im-badesee-experte-verteidigt-polizei-104.html [Zugriff: 26.06.2025].
WELT.de (2025): Aggressiver Riesenwels – 90-Kilo-Fisch beißt fünf Menschen in bayerischem Badesee, wird von Polizei erschossen, 24.06.2025. Online unter: https://www.welt.de/vermischtes/article256286396 [Zugriff: 26.06.2025].
Anders, Günther (1980): Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C.H. Beck.
Rousseau, Jean-Jacques (1981): Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp. [Original: 1762].
Schweitzer, Albert (1987): Kultur und Ethik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
